Am Küchentisch

Als du gegangen bist, wurde es still in mir.

Ich saß auf der letzten Bank. Versteckt. Allein.

Hinter all den mächtigen Körpern.

Ich war nicht mehr Klein –

doch es fühlte sich so an.

Nur ich. Nur ich fühlte dich.

Nur ich trug Trauer in mir.

Ich weinte –

ohne dass es jemand sah.

Denn ich wollte dich in mir bewahren -

wie einen Schatz.

Wollte dich nicht teilen.

Denn mein Erleben mit dir gehörte mir.

Und es war wahr.


 

Es war in meinem Körper.

Nicht ganz erinnerbar –

aber da.


 

Und in all den Jahren, in denen du nicht mehr warst,

habe ich immer nach Antworten in mir gesucht.

Ich verstand nicht,

warum du so bedeutsam für mich warst.

Ich habe dich nicht oft gesehen.

Vielleicht ein-, zweimal im Jahr.


 

Ich erinnere mich an das Spätere:

Wie ich freudig über den steinigen Sandboden 

die zwei Blöcke zu deiner Wohnung lief.

Schnell. Stolz.

Wie ich klingelte –

und den Geruch des Treppenhauses erkannte.

Wie du mir zappelig die Tür öffnetest.

Und ich mich setzte –

an deinen Küchentisch.


 

Du hattest immer etwas zu tun:

Ein Geschirrtuch in der Hand,

eine Tasse, die klirrte,

ein Topf, der dampfte 

und von etwas Schmackhaftem sprach.

Und ich saß da.

Erzählte von mir.

Du von dir.

Ich sog deine Worte auf –

und auch deine Gefühle.

Deine Geschichte:

von Angst und Verlust,

von Unsicherheit und Trauer,

und von deinem Mut, weiterzumachen.


 

Ich erkannte mich in dir.

Auch in deinem Schmerz.

Wir verstanden uns.

Im Fühlen.

Durch dich konnte ich mich sehen.

Durch dich spürte ich:

Ich bin echt.


 

Und dann die anderen Momente:

Mit einem tiefen Lächeln.

Und Augen, die offen waren.

Erzählt hast du,

wie es war, als ich klein war.

Wie du mich abgeholt hast,

aus der Krippe.

Wie ich oft bei dir war,

wenn ich krank war.

In deinem alten Haus,

an dessen Räume 

ich mich nur in einem Gefühl erinnere –

an das Geheimnisvolle.

An das Spannende.

Wie ich Hühner fütterte,

im Hof spielte und entdeckte.

Wie du dich um mich gekümmert hast.


 

Ich wusste das nicht mehr.

Und fühlte es auch nicht –

nicht richtig.


 

Aber was ich fühlte –

war der Moment, 

als du nicht mehr konntest.

Als deine Beine dich nicht mehr trugen,

und dein Körper dir sagte:

Ich kann nicht mehr.


 

Und ich dir sagte:

„Ich will nicht, dass du stirbst.“

Und du:

„Lass mich gehen. Ich habe mein Leben gelebt.

Du hast noch eins. Lebe es.“


 

Was ich da fühlte,

war tief –

voller Tränen.

Ich konnte dich nicht gehen lassen.


 

Und dann sah ich dich.

Nicht mehr in deinem Zuhause.

An einem betäubenden Ort.

Ich sah das Leben,

das aus deinem Gesicht gewichen war.

Und ich wusste:

Du willst nicht mehr.


 

Ich zeigte es dir nicht.

Aber innerlich zerriss es mich.

Als ich ging, spürte ich:

Es war das letzte Mal.


 

Ich starrte.

In mein Gefühl.

In ein Gefäß.

Und niemand wusste,

was du mir bedeutet hast.

Nicht einmal ich.


 

In mir: eine Trauer,

die älter war.

Die Klein war.

Überwältigend.


 

Erst als ich mich selbst verlor

und erkannte,

dass ich nicht trauern konnte,

verstand ich:

Ich hatte schon einmal getrauert.


 

Als wir umzogen.

An einen anderen Ort.

Und du –

du warst weg.

Und ich wurde stumm.

Und keiner wusste, warum.


 

Ich verstand:

Als ich noch gebraucht habe,

warst du da.

Du warst meine Sicherheit

in einem unsicheren Zuhause.

Mein Anker, der mir genommen wurde.


 

Und mein Körper hat diese Erinnerung lange gehalten.

Ob das alles so stimmt –

ich weiß es nicht.

Aber:


 

Ich fühle es.

Und das reicht.
 

Bindungstrauma

Wenn frühe Bindung geht: Zwischen verlorener Sicherheit und später Trauer

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