Mein Gedächtnis

Als ich auszog,

nahm ich dich mit.

In einer Mülltüte.

Nicht, weil ich dich nicht mochte –

sondern weil du mir gehörtest.


 

Ich wollte dich auf mein neues Bett legen.

Aber ich habe mich nicht getraut.

Fand es kindisch.

Albern.

Und so bist du auf dem Dachboden verschwunden.


 

Bei jedem Umzug nahm ich dich mit.

In deiner Tüte.

Ich schaute dich an – und du mich.

Aber ich nahm dich nie heraus.


 

Irgendwann wollte ich aufräumen.

Alles weg, was ich nicht mehr brauche.

Und da warst du wieder.

Mit deinem Blick.

Deinem Gesicht.

Voller Narben auf deinem Körper –

die ich selbst geflickt hatte,

damals, als ich noch klein war.


 

Für einen Moment zögerte ich.

Brauche ich dich noch?

Will ich dich behalten?


 

Dann warst du weg.


 

Ich habe dich nicht vermisst.

Über viele Jahre.

Aber wenn es mir schlecht ging,

habe ich mich an dich erinnert.


 

Daran, wie du neben mir in der Puppenwiege lagst.

Kuschelig. Weich.

Wie ich dir ein neues Kleid genäht habe.

Deine Haare frisiert.

Wie du da warst.

Nicht immer am selben Platz.

Aber immer da.


 

Du hattest ein zartes Lächeln im Gesicht.

Nicht aufdringlich –

aber es sprach zu mir.

Immer wieder.


 

Irgendwann bist du in meiner Erinnerung verblasst.

So sehr, dass ich leugnete, dass es dich je gab.

„Ich hatte nie ein Kuscheltier“, sagte ich.

Dabei dachte ich an dich.

Ich fühlte dich.

Aber ich konnte es nicht aussprechen.

Du bliebst mein Geheimnis.


 

Und dann bekam ich eine Schildkröte.

Die Kinder meinten, sie passe zu mir.

Und plötzlich warst du wieder da.

Ich spürte dich.

Deinen Blick.

Deine Geschichte.


 

Ich erkannte:

Du warst mein Gedächtnis.

Du hast alles bewahrt.


 

Die Wut.

Die Traurigkeit.

Die Einsamkeit.

Die Stille.

Die Verletzungen.

Du hast gelächelt –

auch mit deinem gezeichneten Körper.

Du hast geatmet.

Auch ohne Stimme.


 

Und vielleicht musstest du deshalb gehen.

Weil ich den Teil von mir,

der in dir lebte,

nicht sehen wollte.

Nicht fühlen.


 

Heute denke ich an dich

und sage:

Danke.


 

Du hast mich gehalten,

wo ich es nicht konnte.

Und wenn ich nun meine Schildkröte

fest an meinen Körper drücke –

dann bist du wieder da.

Mit deinem Lächeln.


 


 

Bindungstrauma: 
Verkörperte Erinnerung: Wenn ein Objekt zum sicheren Ort wird - von Halt, Abspaltung und Integration

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