Meine innere Wahrheit
Ich hörte ein herzliches Lachen.
Nein, zwei. Ein Miteinander.
Es irritierte mich.
Ich fragte:
Was ist so lustig?
Sie sagten: Nichts.
Ich ging –
mit einem leisen Unbehagen.
Denn was ich wahrnahm,
war kein Nichts.
Mein Atem wurde flach
Mein Körper still.
Mein Blick - in mich gekehrt.
Ich sortiere vor mich hin.
ein wenig orientierungslos,
ins Leere.
Es kribbelte in meinem Bauch.
Eine innere Unruhe.
Das Bild ließ mich nicht los.
Da stimmt was nicht.
Manchmal konnte ich mich verorten.
Manchmal nicht.
Dann kam eine Stille,
in der sich nichts bewegte.
Eine Ruhe,
die sich unruhig anfühlte.
Die Tür öffnete sich.
Leise.
Ich schaue nicht,
ich spürte nur Bewegungen.
Ruhig.
Schleichend.
Aber voller Energie.
Ich hielt etwas in der Hand -
Ich weiß nicht mehr, was es war.
Aber ich hatte einen Fokus.
Er redete mit mir,
ich hörte ihn nicht.
Die Worte zogen an mir vorbei.
Doch etwas blieb hängen:
„Sie weint. Wegen dir.
Weil du sagst, du hasst sie.
Entschuldige dich.
Dann wird alles wieder gut.“
An dem Tag,
an dem ihr mein Tagebuch gelesen habt,
ist in mir etwas zerbrochen.
Es war leer -
und kraftvoll zugleich.
Stark -
und ich hielt es mit meinem Atem fest.
Ein inneres Nein: Das tue ich nicht!
Ein stummes Schütteln: Warum stehst du nicht zu mir?
Ein Standbild: Ihr gegen mich.
Ein: Es ist meins. Meins.
Ein Nichts: Wohin mit mir?
Scherben lagen auf dem Boden –
und sie schnitten mich.
Das goldene Buch mit einem kleinen Schloss
gehörte nicht mehr mir.
Und mich,
mich gab es dann nicht mehr.
Der Ort,
an dem ich sicher war,
wurde mir genommen.
Der Ort,
an dem ich fühlen durfte.
An dem ich sagen durfte.
An dem ich mich zeigen durfte.
Der Ort,
der mir Freiheit versprach.
Was gelesen wurde,
wurde nicht gehalten.
Was um Hilfe schrie,
wurde übergangen.
Was geliebt werden wollte,
wurde als falsch benannt.
Und in mir wuchs eine Stimme –
aus den Schnitten geboren:
„Ich werde nicht mehr schreiben.
Ich darf es nicht.
Ich kann es nicht.
Ich will es nicht.“
Später hielt ich das goldene Buch in meiner Hand.
Es fühlte sich schwer an.
Ich blätterte.
Ich las:
meine Träume,
mein anders Leben,
meine Begegnungen.
Meine Angst,
meine Scham,
Verzweiflung und Wut.
Und immer wieder las ich –
denselben Satz,
auf mehreren Seiten verteilt.
Immer wieder.
Weil ich keine anderen Worte hatte
für das, was zu viel war.
Ich riss sie heraus.
Ein Satz blieb. Ich zögerte.
Und hörte eine Stimme in mir:
„Nein, mach das nicht.
Es ist deins.“
Ich schloss das Buch
und legte es weg.
Ich schrieb nie wieder hinein.
Es wanderte mit -
Durch mein Leben.
Ein stiller Ort.
Der manchmal weinte.
Der manchmal wütend war.
Der in sich trug,
was nicht raus durfte.
Nicht wahr.
Nicht nackt.
Nicht verletzlich.
Nicht Ich.
Was ich sage ist gefährlich.
In meiner Erinnerung
habe ich mich nicht entschuldigt.
Oder doch ...
Ich sehe zwei Bilder.
Und beide fühlen sich war an.
Vielleicht zeigen sie nicht,
was war,
sondern was ich fühlte.
Eine Zerrissenheit.
In allem.
Zwei Jahre später
bekam ich ein Album meiner Kindheit.
Mit Fotos.
Und Sprechblasen.
Eine Seite erinnerte:
„Warum liegt sie so traurig auf der Couch?“
Meine Antwort:
„Selbst schuld, wenn sie mein Tagebuch gelesen hat.“
Ein Gefühl stieg in mir auf:
Wenn ich sage,
was ich fühle,
dann verletze ich.
Meine Gefühle sind nicht richtig.
Nicht wahr.
Sie werden mir zurückgegeben.
Verwandelt.
Fremd.
Ich fühle mich schuldig,
ich schäme mich.
Und gleichzeitig:
Ich will das nicht.
Das ist falsch.
Nicht richtig.
Und das behalte ich
in mir.
Und so schrieb ich meine Wahrheit -
über viele Jahre.
Nur nur in meinem Kopf.
Ich blieb wach –
aber still.
Spürte Blicke, Bewegungen,
die feinen Verschiebungen.
Hörte Worte,
blieb leise.
Wartend.
Und schrieb in mir.
Und manchmal öffnete sich ein Raum,
in dem mein echtes Wort
bleiben durfte.
In dem sich etwas zeigen konnte –
Manchmal verletzlich.
Manchmal roh.
Manchmal zerrissen.
Ich schrieb,
wenn ich mich ganz weich fühlte -
oder ganz hart.
Doch ein einziger Impuls -
ein Nicht-Verstehen,
ein Nicht-Fühlen,
konnte alles wieder schließen.
Und ich schrieb,
Wenn es keine Sprache mehr gab -
drinnen oder draußen.
Dann blieb es leblos,
verschwand an einem sicheren Ort
und verblasste in meiner Erinnerung.
Und so beschützte ich mich.
Und meine Worte.
Die meine Wahrheit sprachen.
Manchmal kam der Impuls:
Jetzt.
Jetzt schreibe ich es auf.
Fasse es in Sprache.
Doch da war eine Wand.
Sie machte mich starr.
Die Worte verschwanden.
Zogen an mir vorbei,
Immer wieder neu.
Mein Körper hielt es fest.
Wollte nicht,
dass es mich verlässt.
Und doch war da etwas in mir –
ein stilles Wissen
von einem inneren Schatz.
Irgendwann wird er atmen.
Irgendwann wird er leben.
Und ein Entschluss:
Ich will.
Ich weiß nicht wann.
Ich weiß nicht wie.
Ich weiß nur das.
Das Album wollte ich verbrennen.
Die Bilder herausnehmen, neu rahmen -
mit meinen Gedanken,
mit meinen Gefühlen.
Meinen Erinnerungen.
„Nicht mehr in deiner Handschrift,
sondern in meiner.“
Ich sah mich
vor meinem inneren Auge:
Wie es brennt.
In der Feuerschale.
Wie es mich befreit –
ein Akt des symbolischen Loslassens.
Das Bild war eingebrannt.
Dann holte ich das Album vom
Dachboden.
Schon beim Tragen spürte ich:
Es fühlt sich anders an.
Früher konnte ich es kaum halten.
Zeigte es selten.
Auch wenn jemand fragte:
Wie warst du eigentlich als Kind?
Jetzt lege ich es auf den Tisch.
Blicke es an.
Zweifel.
Ich denke:
Vielleicht schneide ich die Seiten einfach heraus.
Aber das fühlt sich unvollständig an.
Ich weiß nicht,
ob das alles richtig ist.
Ich nehme es in die Hand.
Blättere.
Lese.
Worte. Kalenderweisheiten.
Eine Sprache,
die nicht meine ist.
Ich bleibe an einem Foto.
Es wärmt.
Es irritiert.
Aber ich lasse es zu.
Bewerte nicht.
Ich sehe,
lese,
spüre:
In mir hat sich etwas verändert.
Ich sehe Bilder,
die von Leichtigkeit erzählen -
aber ich erinnere sie anders.
Und ich kann beides so stehen lassen.
Dann lese ich:
„Warum liegt sie bewusstlos auf der Couch?“
Und denke:
Es war schlimmer.
Ein Bild kommt.
Sie muss sich gefühlt haben,
als hätte sie Schläge bekommen.
Ich klappe das Album nicht zu.
Ich lese es zu Ende.
Ich spüre nach.
„Bewusstlos“ –
so muss sie sich gefühlt haben.
Ohnmacht.
Ihre Tränen,
ihre Verzweiflung -
Sie galten nicht mir.
Es war alt.
Und sie richtete es an mich.
Das ist kein Mitgefühl –
aber ein Erkennen.
Ich kann es stehen lassen.
Mit einer Grenze in mir.
Und meine Wahrheit -
die bleibt.
Und deine –
welche auch immer sie ist –
die lasse ich bei dir.
Das Album werde ich nicht verbrennen.
Dann würde ich auch einen Teil von mir verbrennen.
Ich werde es lassen.
Es darf zurück an seinen Ort.
Ich kann es halten.
In meiner Hand.
In einem Regal.
In meinem Gefühl.
Und heute sage ich:
Ich will.
Ich weiß nicht wie oder wann sich etwas bewegt hat -
ich weiß nur das.
Ich bin weitergegangen.
Ich kann es längst –
das, was ich als Kind schon konnte:
Wahrheit schreiben.
Ohne Maske.
Meine innere Wahrheit.
Bindungstrauma
Die innere Wahrheit in schambesetzten Beziehungen - Ein Blick durch die Linse von Bindung und Trauma
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